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Beim Dreibeinlauf zum National Girl Child Day geben die Mädchen alles. (Foto: EMS/Keller)
Beim Dreibeinlauf zum National Girl Child Day geben die Mädchen alles. (Foto: EMS/Keller)
07. März 2024

„Glückliches Zuhause“

Carolin

Carolin

Indien
Mädchenheim
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Liebe Blog-Leser:innen,

schön, dass ihr den Weg hierher gefunden habt. Ich bin jetzt seit ca. zwei Monaten im Women Workers‘ Training Centre (WWTC) und merke, wie ich mich so langsam hier einlebe während gleichzeitig das Ende meines Freiwilligendienstes immer näher rückt.

Bei meiner Ankunft hier wurde ich sehr herzlich in meiner „indischen Familie“ willkommen geheißen. Vom Prinzip her gibt es viele Ähnlichkeiten zu meiner alten Einsatzstelle und dann ist doch wieder alles ganz anders. Das WWTC ist ein Projekt, das 1960 gegründet wurde. Hierbei handelt es sich um ein Ausbildungszentrum für Frauen, die hier in verschiedenen Kursen Schneidern, Schreiben auf der Schreibmaschine (in Englisch und Tamil), Computerfertigkeiten und Stenografie (ebenfalls Englisch und Tamil) erlernen können. Eigentlich gibt es noch den Bible Study Kurs, dessen Absolventinnen dann in ganz Indien missionarische Arbeit leisten. Aktuell gibt es aber keine Auszubildenden in dem Kurs. Das WWTC ist ein riesiges Projekt, welches ich in der Gesamtheit immer noch nicht ganz durchdrungen habe. Dem WWTC zugehörig wurde 1971 „Magilchi Illam“, ein Boarding Home für Mädchen gegründet, das 2005 unter der Kindernothilfe neu aufgenommen wurde. Magilchi Illam ist Tamil für „Glückliches Zuhause“. Aktuell werden 62 Mädchen gefördert, wovon ein paar auch an Colleges lernen, welche außerhalb Ngalapurams sind. Im Heim selbst wohnen 39 Mädchen, wovon das jüngste in der dritten Klasse ist und die ältesten Mädchen die 12. Klasse besuchen, also dieses Schuljahr die Schule beenden werden. Manche der Mädchen sind Waisen oder Halbwaisen, haben Eltern welche physisch beeinträchtigt sind oder getrennte Eltern weshalb tagsüber niemand Zuhause ist der auf sie aufpassen könnte bzw. ihnen Sicherheit bietet.

Ebenfalls dem Projekt zugehörig und 2005 mit der Kindernothilfe entstanden ist die Child Focused Community Development (CFCD) in den umliegenden Dörfern, wobei unter Anderem Activity Centres entstanden sind, welche die Kinder nach der Schule besuchen können um ihre Hausaufgaben in Betreuung von einer Nachhilfelehrerein zu erledigen. Zusätzlich werden diese Dörfer noch regelmäßig besucht um dort, manchmal in Begleitung der Heimkinder, Lieder mit Choreografie, (Puppen)Theater und Bibelstellen zu vermittelt – alles mit christlichen Inhalten. Zudem wird auch gespielt oder Wissen vermittelt wie etwa die Wichtigkeit von Zahngesundheit und das richtige und regelmäßige Zähneputzen. Zusätzlich gibt es das Gelände der Farm, nur wenige Gehminuten entfernt, wo biologische Landwirtschaft betrieben wird. Auf dem gleichen Gelände befindet sich auch das Day Care Centre, eine Kindertagesstätte für Kinder im Alter von 2 bis 5 Jahren. Früher war dort zusätzlich ein Ort für Senior:innen, mittlerweile kommt aber nur noch eine ältere Frau, die im Centre Essen bekommt, die anderen gehen zur Feldarbeit.

Als ich an meiner neuen Einsatzstelle ankam, hat Schwester Kasthuri (die Superintendent des WWTC), für indische Verhältnisse sehr strukturiert mit mir einen Wochenplan ausgearbeitet. An drei Tagen der Woche mache ich mit den Mädchen eine morgendliche Dehneinheit um 7 Uhr, bevor es für sie in  ihre Hausaufgaben und Lernzeit geht. Frühstück gibt es dann um 8:30 Uhr gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen, die auch hier im Centre schlafen. Aktuell sind das nur Schwester Kasthuri, Kiruba (die Warden von Magilchi Illam) und Schwester Chellakani. Vormittags geht es für mich dann viermal die Woche zum Day Care Centre und zweimal die Woche zum Schneiderkurs mit den anderen Auszubildenden. Nach dem Mittagessen um 1 Uhr habe ich dann Pause bis die Mädchen um 16:15 Uhr aus der Schule zurückkommen. Dann müssen sie erstmal ihre Schuluniform gegen Alltagskleidung austauschen und ihre Pflichten auf dem Gelände erledigen, wie die Pflanzen zu gießen. Dann ist Zeit etwas zu spielen oder einfach nur zu quatschen, bevor es um 17 Uhr Tee gibt, welcher hier in Indien immer sehr stark gesüßt getrunken wird. Um circa 17:30 Uhr beginnt die abendliche study time in der ich den Mädchen bei den Englischhausaufgaben helfen kann. Um 18:30 Uhr gibt es für die Mädchen bis zur neunten Klasse einen Gottesdienst in der Kirche und für mich gibt es um 19:30 Uhr Abendessen. Gegen 20:30 Uhr kann ich nochmal rübergehen ins Boarding Home und dort gemeinsam mit den Mädchen Zähne putzen, was sie sonst ganz gerne überspringen oder vergessen. Sonntags ist vormittags Gottesdienst und nachmittags bekommen die Mädchen Besuch von ihrer Verwandtschaft oder haben Zeit sich von dem strengen Wochenalltag zu erholen und zu spielen. Manche Mädchen besuchen auch ein Altenheim, um dort Tänze und Theater aufzuführen und mit den Senior:innen zu reden.

So also zumindest die grobe Theorie für meinen Tagesablauf. Faktisch ist aber eigentlich immer was los und im Februar habe ich hauptsächlich im Büro mitgeholfen, um Schwester Kasthuri dort zu unterstützen. Da der Vertrag mit der Kindernothilfe Ende März ausläuft, gab es nämlich einiges zu tun wie etwa den Abschlussbericht zu schreiben, oder die Dankesbriefe aller Mädchen an ihre Paten zu übersetzen. Es war sehr spannend, so auch nochmal einen guten Einblick in die Hintergründe zu bekommen und zu lesen was die Mädchen so beschäftigt und ihnen wichtig ist, da ich mich ansonsten aufgrund der Sprachbarriere gerade mit den jüngeren wenig unterhalten kann. So haben etwa die jüngeren Mädchen noch berichtet, was ihr Lieblingsessen im Boarding Home ist, während es bei den älteren Mädchen viel um die Schule und anstehende Prüfungen ging. Ausgiebig wurde auch von den verschiedenen Wettbewerben und gewonnen Preisen, sowie von aufgeführten Tänzen und Theaterstücken berichtet. Die Exkursion, welche in diesem Schuljahr stattfand fand auch oftmals Erwähnung, da die meisten Mädchen erstmals das Meer und Tiere im Zoo sehen konnten. Es war sehr schön für mich zu lesen, dass der Name Magilchi Illam hier Programm ist und die meisten Mädchen sehr glücklich sind hier zu sein. Viele berichten auch, dass sie durch ihre Zeit hier viel selbstbewusster geworden sind und viel über Nachhaltigkeit oder die Bedeutung von Bildung gelernt haben.

Auch abgesehen davon war viel los. Vom 15. – 17. Januar wurde Pongal gefeiert, ein tamilisches Erntedankfest bei dem am ersten Tag traditionell süßes Pongal (ein Reisgericht) gekocht wird und den hinduistischen Göttern auf einem Bananenblatt Gemüse und Früchte als Opfergabe gebracht werden. Die Mädchen hatten dafür ein paar Tage Ferien. Am 25. Januar wurde im Centre der National Girl Child Day gefeiert. Dafür wurden die Mädchen aus dem Dorf eingeladen, um zusammen mit den Auszubildenden und den Magilchi Illam Mädchen in verschiedenen Wettbewerben gegeneinander anzutreten. Es wurden Rangoli gemalt (wunderschöne Bilder, die mit farbigem Pulver auf den Boden gestreut werden), Limbo getanzt, Dreibeinlauf und anderes. Zudem haben die Mädchen ein „cultural program“ aufgeführt, bestehend aus traditionellen Tänzen wie Kolattam (mit Stöcken), Kummi (dabei wird in die Hände geklatscht) und Oyilttam (hier finden Taschentücher Verwendung). Zudem wird thematisch passendes Theater aufgeführt. Am 17. Februar gab es in der Schule ein ausführliches abendliches Programm zum Jahrestag, worauf sich die Mädchen wochenlang im Vorhinein vorbereitet hatten und auch, wie ich stolz gesehen habe, zahlreiche Preise für verschiedene schulische Wettbewerbe abgeräumt haben. Am 21. Februar wurde der Tag der Muttersprache gefeiert - hier ist es sehr beliebt zu allen möglichen Tagen ein entsprechendes Programm durchzuführen. Im Center durften die Mädchen dafür abends verschiedene Sprachen anhand ihres Klangs den Ländern und Landesumrissen zuordnen, wobei sie großen Spaß hatten.

Am 24. Februar wurde in der Kirche das alljährliche Children’s Camp durchgeführt, wozu etwa 1020 Kinder aus Nagalapuram und Umgebung zur Kirche auf dem Gelände kamen. Dort haben sie Action Songs gelernt, Theater gesehen und gemeinsam zu Mittag gegessen. Für die Kinder war der Tag ein echtes Highlight. Ich hingegen habe mich bald zurückgezogen da mir die Lautstärke in der Kirche durch die zusätzlichen Lautsprecher schnell zu viel wurde und die Aufmerksamkeit der Kinder, welche größtenteils noch nie eine weiße Person gesehen hatten und mich dementsprechend alle begrüßen und anfassen wollten. Ansonsten war am 03. März noch Erntedankfest in der Kirche, wofür alle verschiede Gaben mitgebracht haben, die nach dem Gottesdienst versteigert wurden, um so Geld für die Kirche zu erhalten. Die Verkaufspreise waren für indische Verhältnisse sehr hoch was unter anderem daran liegt, dass es für die Gemeindemitglieder ein Segen ist bei der Auktion etwas zu ersteigern. Das Ganze war für mich spannend zu beobachten aber an manchen Stellen doch sehr befremdlich, da unter anderem lebende Hühner und Ziegen zur Versteigerung angeboten wurden, welche sich während des Gottesdienstes teilweise von ihren Besitzern befreit hatten und durch die Kirch flatterten.

Zudem durfte ich während meiner Zeit hier dem monatlichen Treffen mit den Nachhilfelehrerinnen der Activity Centres beiwohnen, wo ich mit ihnen auch ein paar Spiele spielen konnte, welche sie dann den Kindern beibringen können. Es war sehr schön zu sehen wie viel Spaß alle Erwachsenen etwa beim Menschen Memory oder einer Abwandlung von Ochs am Berg hatten. Ebenfalls ein besonderes Ereignis ist es jedes Mal, wenn jemand das Abendessen für die Mädchen sponsort, was dann meistens Chicken Biryani (ein Reisgericht mit Hühnchen und hier sehr beliebt) ist. Aktuell stehen sowohl für die Mädchen als auch für die Auszubildenden nach und nach die Prüfungen an, weshalb fleißig gelernt wird. Während meiner Zeit in Nagalapuram durfte ich auch zu Gast bei drei Hochzeiten und einer Taufe sein.

Das war es erstmal von mir.

Danke für euer Interesse und liebe Grüße,

Caro :)

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So sehen die Vorbereitungen für Biryani aus, wenn Zwiebeln, Knoblauch, Koriander, Minze, Tomaten, Chilli und andere Zutaten geschnitten werden. (Foto: EMS/Keller)
So sehen die Vorbereitungen für Biryani aus, wenn Zwiebeln, Knoblauch, Koriander, Minze, Tomaten, Chilli und andere Zutaten geschnitten werden. (Foto: EMS/Keller)
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Einige Kinder des Day Care Centre beim Spielen. (Foto: EMS/Keller)
Einige Kinder des Day Care Centre beim Spielen. (Foto: EMS/Keller)

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